© 2019 by Vincent Mosch
Identität und Bekenntnis sind das Thema dieser Bilderreihe. Es handelt sich um eine Sammlung von Aufnahmen aus Deutschland, die Fundstücke sind. Der „rote Faden“ ist die schwarz-rot-gelbe Fahne, wie sie einem sprichwörtlich am Wegesrand begegnet.
Diese Fahnen hängen nicht drinnen im Zimmer. Sie sind als Postulate postiert, werden öffentlich aus einem privaten Umfeld gezeigt. Sie werden als Mitteilung gebraucht. Aber was ist diese Mitteilung?
In Deutschland erleben wir die Renaissance einer Haltung, die sich gerne in dem Satz: „Andere Länder haben ein viel entspannteres Verhältnis zu ihrem Land - warum nicht auch wir?“ artikuliert. Nationale Identität erfährt darin eine aufwertende Hervorhebung, die nicht mehr „Nationalstolz“ heißt, sondern in etwas gebückten Form und mit lächelnder Freundlichkeit als „Patriotismus“ zur Sprache gebracht wird. Der Zusammenhang mit der „Wir-sind-wieder-wer“-Haltung, die schon seit den achtziger Jahren zunehmend auch den Griff zur Fahne wieder gesellschaftsfähig gemacht hat, klingt an.Namentlich König Fussball gelang es, das Stigma endlich umfahrbar zu machen. Durch das „Sommermärchen“ konnte man auf einmal ohne Anstoß zu erregen als Deutschland-Clown auf die Straße gehen und galt dabei als gut gelaunt und nicht als Faschist.
Wie man auf den Fotos sehen kann, sind viele Fahnen schon über das Ende gleich mehrerer Fußballturniere hinaus im Einsatz. Wurden sie dort in den Blumenkübeln achtlos vergessen? An mancher Stelle könnte man diesen Eindruck gewinnen – aber stets steht die Fahne so, dass man sie beim besten Willen nicht übersehen kann.
Begreift man als Zeichen, was Menschen anderen von sich zeigen, so sieht man, dass die Verlorenheit dieser Ensembles eher nicht auf das Wohnumfeld gut gelaunter Sportsfreunde hinweist. Und auf Freunde der Ironie schon gar nicht.
Wer sind die Menschen, die uns ihre Fahne zeigen, und was wollen sie damit sagen?
"Hier ist Deutschland."
Ob in Gerolfing, in Wilhelmshaven, in Brandenburg oder von an sonst einem Ort, an dem die Bilder aufgenommen wurden: Der Informationswert dieser Mitteilung hält sich in bescheidenen Grenzen. Es ist paradox, denn vollkommen klar, dass das in Deutschland ist.
(Von Orten, wo das nicht so klar ist – etwa in Berlin-Neukölln, wo es ebenfalls viele Belegstücke an deutschen Fahnen einzusammeln gäbe, stammt keines der Bilder.)
Es geht bei der Mitteilung, die mit der Fahne gemacht wird, nicht um Information. Es geht um das Bekenntnis. In ähnlicher Verwendung, in der einst der gekreuzigte Herrgott präsentiert wurde, steht auf einmal das deutsche Hoheitszeichen; an Stellen, wo man es nicht erwarten würde. Das hat wahrscheinlich weniger mit dem Nationalen als Ersatzreligion zu tun als vielmehr mit dem Bedürfnis nach Zugehörigkeit. Zwei Aspekte, die dem Phänomen inhärent sind, zeigen die Bilder ganz deutlich:
Schutz durch Abgrenzung. Es ist eine Abgrenzung, die die Ausgrenzung nicht zulassen möchte. Wie ein Schwellenzauber klebt die Fahne am Fenster und soll die bösen Geister der Ungewissheit aus der Geborgenheit der Minimal-Idylle fernhalten.
Wo mein Heim ist, ist meine Heimat. Also Deutschland. Das scheinbare Paradoxon löst sich nur so auf: Nur wer sich eben nicht sicher ist, dass er in Deutschland ist, muss mittendrin sagen: und (wenigstens) hier ist es!
Und damit ist man – zweiter Aspekt – auch nicht mehr so alleine im verlorenen Deutschland, wenn man sich zu einer Gruppe bekennen kann.
„Ich zeig‘ Dir meine Fahne!“ Der Appellativ referiert auf das gesellschaftliche Ganze und moniert, Einzelne nicht in ihren Erdgeschosswohnungen zurückzulassen.
© 2019 by Vincent Mosch